Kunst am Bau – Entwurf+Realisierung ˈFabelwandˈ für das Ministerium Stadt Verkehr Wohnen Potsdam (1997)

Das künstlerische Konzept bedient sich im wesentlichen zweier Elemente, einmal der Texte Franz Kafkas, der, obwohl 1883 geboren, schlechthin als der Inbegriff der modernen Literatur des 20. Jahrhunderts gilt und der langen Tradition der Epigramme oder „Inschriften“, die sich bis hinein in unser Jahrhundert gehalten haben.

Nicht zuletzt wurden auch im Innern des Gebäudes Reste alter Inschriften gefunden und restauriert. Inschriften in Häusern findet man bereits seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland – ehemals vorherrschend Bibelsprüche wurden die Inhalte im Verlauf der Renaissance zunehmend weltlicher. Mit immer rascherem Besitzerwechsel und dem Vormarsch industrieller Besiedlungsformen konnte sich die Tradition der Inschrift oder Sinnsprüche nur noch in öffentlichen Gebäuden oder in ländlichen Gegenden halten.

Die Texte, besonders die Parabeln und Paradoxien kamen mir schon beim ersten Rundgang in den Sinn, da diese Architektur der militärischen Ordnung, das Labyrinthische ihrer Gänge, die merkwürdige Atmosphäre aus angstbesetzter Subjektivität und den sich ins überpersönlich symbolhaft steigernden Räumen in Kafkas Texten zu spiegeln scheint.

Durch die Konfrontation dieser Räume mit den Texten Kafkas entsteht ein dritter, ein geistiger Raum.

Die Perspektiven (deren Wechsel ein viel benutztes Stilmittel bei Kafka ist) werden gedoppelt, verzerrt oder zurückprojeziert, sodass der Besucher die Chance bekommt, den Raum als einen ins Symbolische gesteigerten Raum an sich wahrzunehmen.

Der Eigenart und Nüchternheit der Texte steht der bewusst spielerische Umgang mit ihnen entgegen, der die Ironie der Geschichten ein zweites Mal lebendig werden lässt.

Fabelwand Potsdam

Räumliches Konzept

Aus Gründen der in der Auslobung und beim Rundgang erwähnten denkmalpflegerischen Problematik bei der Sanierung der ehemaligen Gewehrfabrik (Haus 1), findet dieser Teil des Gebäudekomplexes keinen Niederschlag in meinen Überlegungen und so betreffen alle folgenden konzeptionellen Überlegungen nur den Bereich der ehemaligen Infanteriekaserne (Haus 2)!

Beim Rundgang durch das Gebäude wird deutlich, dass Eingriffe in bereits bestehende Farbkonzepte zu spät kommen und dass Funktionalität und Besucherkompatibilität die Räume bestimmen.

Es ist eben kein Ort für Kunst und da mit einem eher unsensiblem Umgang mit wartungsintensiven oder empfindlichen Objekten zu rechnen ist, habe ich mich für eine eher immaterielle Behandlung der Räume entschieden.

Das Geistige, die Idee steht im Vordergrund und wirkt so erst indirekt über die Phantasie, die geistige Empfänglichkeit und das Visualisierungsvermögen des Betrachters hin zu einer Neubewertung der vorgefundenen Architektur.

Angesichts der vielen Gänge, Treppen und Flure, der vielen Türen und Nischen erschien mir eine weit gestreute, über das gesamte Gebäude sich erstreckende „Bespielung“ erforderlich.

Mit der in den Außenbereich auf Ebene 3 hineinreichenden Arbeit „Aufbruch“ soll ein auch nach außen hin sichtbares Zeichen gesetzt werden für die im Innern des Hauses (und des Kopfes) sich ereignende Veränderung.

Zwei Sätze aus der Geschichte „Die Brücke“, entstanden 1917, werden direkt auf die der Fußgängerbrücke zugewandten Seite der Gewölbebögen aufgemalt.

Das Dunkel- bis Ultramarinblau der Schrift kontrastiert mit dem vorherrschenden Goldockerton der Wände.

Die Positionen der Texte an der Decke (und nicht etwa auf der Brücke selbst) verweisen sowohl auf die tragende Position der Decken als auch auf den Perspektivenwechsel zum Thema Höhe in den beiden Texten.

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Die letzten Sätze aus der Geschichte „Fürsprecher“ von Franz Kafka, vermutlich 1922 geschrieben, sollen sich, die Etagen höher steigend, um jeweils einen Satz früher beginnend, durch die Treppenhäuser des gesamten Gebäudekomplexes (ohne Gewehrfabrik) ziehen.

In Bodenplatten aus geschliffenem Granit (farblich passend) werden die Texte gesandstrahlt und mit matter Goldfarbe gefüllt.

Die Steinplatten haben einen Größe von 80×80 cm und befinden sich an 4 – 6 ausgewählten Standpunkten jeweils zwischen zwei Treppenaufgängen diagonal in Laufrichtung – eingefasst in die Bodenfliesen.

Die Schrift ist eine Garrison Light Sans in Anlehnung an das quadratische Fliesenformat.

Fabelwand Potsdam
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Aus dem Roman „Der Prozeß“ stammt „Vor dem Gesetz“, eine der bekanntesten Parabeln von Kafka, die in ihrer Fülle an Bedeutungsebenen über enorme existenzielle Wucht verfügt.

Den Besuchern, die vor der Tür des Fahrstuhls warten, öffnet sich zwar die (verspiegelte) Tür, aber wie in der Geschichte müssen sie sich aufs Neue entscheiden, wohin sie wollen.

Zudem ist die Perspektive auf den Text eine doppelte – während sie stehen und warten, projeziert ihnen für sie selber nicht sichtbar ein Projektor die lakonische Bemerkung „Einer wartet immer !“ auf den Rücken

und so findet eine unbewusste (und ungewollte!) Identifikation mit dem Antihelden der Geschichte statt, der nicht sehen kann, was die Leser und die Außenstehenden sehen.

Die verspiegelte Fahrstuhltür unterstützt die Selbstbezogenheit und zugleich den immateriellen Charakter dieser ins Symbolische erhöhten Tür. Zudem wird damit vermieden, daß die Projektion auf der Tür sichtbar wird.

Fabelwand Potsdam
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